Ja, diese Überschrift benötigt kein Ausrufezeichen (oder gleich mehrere). Der Begriff „erschreckend“ ist Aussage genug.
Man sollte in Zeiten wie jetzt und heute meinen, dass die meisten Zeitgenossen zumindest eine abgeschlossene Grundschule haben und irgendwann einmal gelernt haben selbstständig zu denken, oder etwa nicht? Wie ist es nur möglich, dass bei derart vielen „Mitmenschen“ nur noch Schlagzeilen, Neid und Hass eine Rolle spielen und Fakten, die regelrecht zum greifen sind völlig außen vor bleiben?
Es scheint modern geworden zu sein, dass sich mehr und mehr Politiker an der öffentlichen Meinung bedienen und lediglich neu formuliert, mit Falschmeldungen garniert sowie mit Neid- und Hass-Parolen gewürzt als eigenes Programm anbieten.
Wir brauchen gar nicht nach Großbritannien zu sehen, wo Google unmittelbar nach der Abstimmung und den folgenden Tagen eine enorm um 2.450 Prozent (in Worten: Zweitausend Vierhundert und Fünfzig) gestiegene Anzahl von Suchanfragen nach dem Begriff „BREXIT“ und den daraus zu erwartenden Folgen verzeichnete. Die falsche Zahl £ 340 (Millionen pro Woche), die Boris Johnson auf seinem Wahlkampfbus monatelang durch die Gegend gefahren hat war lange vor der Entscheidung enttarnt, das interessierte aber weder die Befürworter, noch die Boulevardpresse, noch die Wähler. Heute gehört dieser Bus der Greenpeace Organisation, die in mit neuen Aufschrift „Time for Truth“, „Zeit für die Wahrheit” beschriftet und öffentlichkeitswirksam vor dem Parlament geparkt hat.
Wir brauchen uns auch nicht unbedingt um Donald Trump besonders kümmern, der brav dafür sorgt, dass ihm der Titel für die Lachnummer nicht so schnell abhandenkommt (und trotzdem jubeln ihm Millionen zu).
Ja, wir brauchen nicht in die weite Welt zu blicken, wir haben alles selbst vor der Tür und die Rezeptur ist ganz einfach.
1.) Was braucht der Politiker? Ganz klar: Wähler und zwar möglichst viele.
2.) Von wo bekommt er sie? Ganz klar: aus einer großen Menge
Sprich, für viele Politiker werden kleine Gruppen mehr und mehr uninteressant. Es scheint so zu sein, dass 100.000 vergrämte Bürger herzlich uninteressant werden, wenn man dafür 300.000 andere als Stimmvieh bekommt. Die Zeiten, in denen sich Politiker um das Volk (als gesamtes) bemüht haben scheinen längst vorbei zu sein. Was zählt das sind Populismus und Quoten. Wenn damit das Ziel erreicht wird (also genug Wähler den Trick nicht bemerken), dann werden nachhaltige Inhalte zur Nebensache.
Wer zum Beispiel zu so einer kleinen Gruppe gehört, das sind die „echten“ Steuerzahler, die von keinerlei Transferleistung profitieren. So kommen zum Beispiel etwa 100.000 sehr gut verdienende Österreicher (etwa 1,4 % der Lohnsteuerzahler) für 53 % der gesamten Lohnsteuer auf.
Betrachten wir die Lohnsteuerzahler (besser gesagt, die theoretisch Lohn- oder Einkommenssteuer pflichtigen) in Einkommensgruppen eingeteilt, dann finden wir bei den Österreichern:
ca. 2,54 Millionen (37 %) unter € 15.000 Jahres Brutto
ca. 2,55 Millionen (38 %) mit € 15.000 bis 30.000 Jahres Brutto und
ca. 1,71 Millionen (25 %) über € 30.000 Jahres Brutto
(die weiter oben genannten 1,4 % sind hier in letzterer Gruppe enthalten)
Das Fatale an dieser Geschichte ist aber:
Die erste Gruppe zahlt 49 Mio. an Steuern (0,2 %) bekommt aber 2,735 Milliarden an Transferleistungen zurück. Die zweite Gruppe zahlt immerhin schon 4,798 Milliarden (18,4 %), bekommt aber wieder 4,352 Milliarden an Transferleistungen zurück. Die 3. Gruppe bringt es auf 21,240 Milliarden (81,4 %) Lohnsteuer und erhält 2,267 Milliarden an Transferleistungen. Unter dem Strich kommen also weniger als ein Viertel der Österreicher für 18,973 Milliarden Euro netto Lohnsteuer auf (nach Abzug aller Transferleistungen).
Für weitere Details siehe diese Quelle.
Ergänzend zum Begriff Transferleistungen: Darin ist die österreichische Familienbeihilfe (früher Kinderbeihilfe) nicht enthalten, sie wird aus aus dem Familienlastenausgleichsfonds finanziert, in den die Arbeitgeber abhängig von der Lohnsumme als Lohnnebenkosten einzahlen.
Dass man mit weniger als 25 % keine Wahlen gewinnen kann das liegt natürlich auf der Hand. Ob es nun aber Sinn macht diese wirtschaftlich doch irgendwie erforderliche Gruppe zu vergrämen ist eine andere Frage.
Vergrämt muss sich aber jeder vorkommen, der einigermaßen selbstständig denken kann, aber mit Aussagen konfrontiert wird die einer reinen „Verarschung“ (Entschuldigung für diesen Begriff, steht aber im Duden) gleichkommen. Offensichtliche verbale Ausrutscher, wie z. B. die in ihren mathematischen Konsequenzen nicht ganz durchdachte Aussage eines bekannten österreichischen Politikers „mehr Brutto vom Netto“ zähle ich da noch eher zu den humoristischen Einlagen. Problematisch wird für mich die Angelegenheit wenn mit Neid, Hass und offensichtlichen Falschmeldungen versucht wird Politik zu machen oder zumindest politisches Kapital daraus zu ziehen. Ob unbewusst oder absichtlich möchte ich hier nicht bewerten, gewisse Häufungen setzten aber entweder eine gewisse Unbedarftheit (was für den Verfasser auch nicht gerade ein Kompliment ist) oder wissentliche Absicht voraus.
Besonders heikel wird es, wenn eindeutig falsche und von kompetenter Stelle widerlegte Meldungen (z. B. auf Facebook oder Twitter) nicht vom Netz genommen werden, sondern einfach nur mit einem Kommentar ergänzt werden. Hier macht man sich die spezielle Dynamik des „Teilens“, besonders bei Facebook zu nutze. Jeder der sich einmal näher mit Facebook beschäftigt hat, dem ist vermutlich aufgefallen, dass es Nutzer gibt die alles teilen was ihnen zum eigenen Leitbild passt und gerade unter die Tastatur kommt. Was hier besonders auffällt ist, dass es selten Nutzer gibt, die ganz zurück an die Quelle gehen und vielleicht dort auch noch die Kommentare analysieren. Ganz selten sind dann die Nutzer, die an Hand externer Quellen versuchen, das Thema zu analysieren. Würde man also einen Beitrag (der sich als offensichtlich falsch) herausstellt (aber ein Renner ist) löschen, dann gehen auch alle geteilten Beiträge mit allen Kommentaren der Sympathisanten und damit ein riesiges Potential an aufgestauter Wut (gegen etwas, das in dieser Form gar nicht existiert) verloren.
Beispiel: Ein bekannter österreichischer Politiker und Parteiführer verbreitet am 23. August 2016 eine Torten-Grafik über Arbeitslosenzahlen, die er im Kurier findet — die sich allerdings sehr schnell als falsch heraus stellt. Der erste Fehler hier: ein einigermaßen verantwortungsbewusster Politiker prüft ob die Zahlen stimmen bevor er sie veröffentlicht, eine gute Quelle wäre z. B. das AMS gewesen — aber gut — die Zahlen stehen jetzt mal da. Einige Tage später am 26. August 2016 macht ein gewisser Johannes Kopf (der AMS-Chef) besagten Politiker in einem eigenen persönlichen Beitrag auf diesen Fehler aufmerksam und führt gleichzeitigen die korrekten Zahlen an und zwar:
“Österreicher/innen ohne Migrationshintergrund” 58,0 %,
“Österreicher/innen mit Migrationshintergrund” 13,8 % und
“Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft“ 28,2 %.
Besagter Politiker beruft sich in einem Kommentar auf die fehlerhafte Grafik im Kurier, der falsche Beitrag aber bleibt unverändert stehen.
Zum Stichtag 1. September (5 Tage nachdem der AMS-Chef die Richtigstellung übermittelt hat) wurde genau dieser Beitrag mit dem ursprünglichen (falschen) Inhalt 1498-mal geteilt und mit 1715 Like‘s sowie 196 teils sehr handfesten Kommentaren versehen (ohne noch der zahllosen Kommentaren bei den geteilten Beiträgen).
Dieses ist nur ein Beispiel aus vielen, hinter dem man schon fast ein System vermuten könnte. Dabei scheut man sich auch nicht, immer wieder offensichtlich unseriöse Quellen zu zitieren. Eine schon mehrmals wegen eklatanter Falschmeldungen aufgefallene Internetseite und eine relativ neue Wochenzeitung sind hier nur zwei Beispiele unter vielen.
Ja, Geiz ist geil und Neid ist noch viel geiler, denn damit kann man offensichtlich sagenhaft punkten (zumindest bei einer ausreichend großen Menge) und solange die Schmutzkübel nicht ausgehen sind dem Treiben keine Grenzen gesetzt.
Sehr traurig, wenn man damit fehlende eigenständige Kompetenz und Kreativität kaschieren muss und ein erheblich großer Teil der betroffenen Menschen das offensichtlich gar nicht mitbekommt wie brutal sie manipuliert werden (es gibt immer wieder genug Menschen die darauf warten, was man ihnen vorsagt — damit daraus ihre Meinung wird).
Wenn es wichtiger wird, immer und für alles „Schuldige“ zu finden, dann bleibt das was ich von einem Politiker erwarte, nämlich „Verantwortung zu übernehmen“ ganz traurig auf der Strecke.
Lieber Leser, du bist einer der vermutlich ganz wenigen, der am Ende des Beitrages angekommen ist. Du gehörst jedenfalls nicht zu den „nur Überschriften-Lesern“, die sich nach dem Muster der Bild-Zeitung aus reinen Schlagzeilen informieren und dabei gelegentlich übersehen dass der Artikel schon einige Jahre alt ist oder keine ernst zu nehmende Quellen nennt. Und ja, es gibt kein einziges Ausrufezeichen im gesamten Beitrag (außer im darunter stehenden Kommentar, der nicht von mir stammt) es geht durchaus auch ohne.
1.September 2016, © Hans