Eine provokante und plakative Überschrift, wie soll man so die Kurve kriegen?
Zu sehr vereinfacht ist die Aussage, aber wenn man hier den „typischen“ Touristen (mit wenig Einfühlungsvermögen in die Mentalität der Bewohner im Urlaubsland) meint, dann bringt es die Überschrift doch auf den Punkt.
Eine ergänzende Information zum Titelbild — sowohl was Nikos an der Gitarre betrifft, als auch zur Taverne, in der das Bild aufgenommen wurde (und ich sehr viele Stunden verbrachte) gibt es ganz unten im Beitrag unter dem Titel: Στο τέλος (zum Schluss).
Psaro-Taverna (Ψαρό Ταβέρνα), eine Institution!
Ja, in der Tat ist es nicht ganz einfach zu beschreiben, was damit gemeint ist (selbst wenn man sich mehr als intensiv mit den Verhaltensmustern der Griechen auseinander gesetzt hat) ist es kaum möglich, es so zu formulieren, dass es für einen Mitteleuropäer nördlich des Brenners einigermaßen verständlich klingt. Zumal der Großteil der Urlauber ohnehin nicht sonderlich darauf erpicht ist, sich mit den Sitten und Gebrächen eines anderen Landes anzufreunden, fehlt oft auch der Wille ein Ohr (oder Auge) für landesspezifische Institutionen zu haben. Man hat ja schließlich für den Urlaub bezahlt und da sollen die „Dienstleister“ gefälligst so funktionieren wie es erwartet wird (und zwar für jeden einzelnen Urlauber auf seine spezielle Weise).
Wer sich an dieser Stelle erkannt fühlt, dem wird höflichst geraten, hier nicht weiter zu lesen und ganz dringend von Griechenland als Urlaubsziel (außer im geschützten Bereich eines Clubs) Abstand zu nehmen. Als geeignete Ziele könnte ich jedes All-Inklusiv Hotel in der Türkei, in Ägypten oder Tunesien vorschlagen. Auch wenn es dort manchmal eine Bomben-Stimmung gibt ist es immer noch besser, wenn man seinen Gewohnheiten freien Lauf lassen kann, bevor man sich vielleicht umständlich Gedanken machen muss ob man eine Kapelle nahe dem Strand im Bikini betreten soll oder nicht (Ein Thema, woran viele offensichtlich ohnehin keinen Gedanken verschwenden).
… für alle die jetzt noch dabei sind:
Einige Stehsätze zum Thema Psaro-Taverna (Ψαροταβέρνα: Π-Τ)
- Die Π–Τ hat es schon lange vor dem Tourismus gegeben
- Eine Π–Τ ist eine Institution, die bei uns in dieser Form unbekannt ist.
- In einer richtigen Π–Τ gibt es absolut keine Fleischspeisen.
- Eine Π–Τ ist kein Kaffeehaus wo man schnell einen Drink nimmt
- Eine Π–Τ ist auch für Griechen unverschämt teuer.
- In einer Π–Τ beginnt es erst nach 22:00 Uhr richtig rund zu laufen.
- Eine Π–Τ bietet besondere Spezialitäten (die wir meist nicht kennen).
- Eine Π–Τ lebt in erster Linie von zahlungskräftigen Griechen.
- In einer Π–Τ zahlt nur einer am Tisch (und das ist eine Ehre!).
- Eine Π–Τ ist nicht auf Touristen angewiesen.
- In manchen Π–Τ sind Touristen sogar unerwünscht und werden vielleicht geradezu hinausgeekelt.
Das oben gezeigte 11 Punkte Programm enthält einige Hürden, an denen viele Zeitgenossen aus unseren Breiten scheitern und deren Frust man dann bei TripAdvisor oder anderen Beurteilungs-Seiten nachlesen kann. Man kann auch sagen, „Thema verfehlt, setzten“ und wir sind wieder am Punkt wo wir gesagt haben: … sich mit den Sitten und Gebrächen eines Landes anzufreunden, oder sich zumindest damit soweit zu befassen, damit man eine grobe Ahnung hat wo es lang geht und nicht in jedes aufgestellte (und teilweise auch gut versteckte) Fettnäpfchen latscht.
Das Leben der Griechen war seit der Unterdrückung durch die Osmanen (seit 1453) eine Passion und ist es auch heute mit all den wirtschaftlichen Problemen (die meist von denen auszubaden sind, die sie am allerwenigste verursacht haben) wieder verstärkt. Wer die „Griechische Passion“ von Nikos Katzantzakis gelesen hat (wie ich das immer wieder empfehle) der wird hier wieder viele der beschriebenen Charaktere finden und einer davon ist der „stolze Grieche“ der sich auch in wirklich schlechten Zeiten seinen Stolz nicht brechen lässt.
Zu diesem Stolz gehört es auch, mit Freunden in die sündteure Psaro-Taverna zu gehen und dort die Rechnung für den ganzen Tisch zu bezahlen, auch wenn man noch kein richtiges Bild hat – wie man das Geld wieder auftreiben soll. Ich rede hier nicht von der eher kleineren Gruppe derer, die solche Rechnungen mit links aus der Portokasse begleichen können.
Aber befassen wir uns kurz mit den einzelnen Punkten:
Zu 1.) die erste Π–Τ in Rhodos geht z. B. auf 1957 zurück, lange bevor hier der Tourismus begonnen hat. Eines der ersten größeren Hotels das in Rhodos gebaut wurde war das Belvedere Hotel im Jahr 1961. 1963 war es dann das Grand Hotel und 1964 folgte das Hotel Mediterranean. Das Plaza Hotel und das Hotel Afrika gehen zurück auf 1967. Erst ab 1971 bis 1974 hat man damit begonnen Faliraki, Kalithea und Ixia zu erschließen.
Zu 2.) wenn man eine Π–Τ und die Vorgänge dort auch nur bedingt verstehen möchte, dann muss man sich sehr mit der griechischen Mentalität auseinander setzten und versuchen zu verstehen. In eine Π–Τ geht man nicht so einfach, weil man gerade einen Happen benötigt. In die Geheimnisse der Π–Τ wird man üblicher Weise (wenn man dafür Wert befunden wird) von erfahrenen Besuchern eingeführt. Bei mir war es Anfang der 90iger Jahre in Rhodos durch Fischer von der Insel Chalki.
Zu 3.) und ja, in einer richtigen Π–Τ gibt es (außer dem Salat zur Begleitung) ausschließlich Fisch und Meeresfrüchte höchster Qualität. Wer gerne frische Austern fine de Claire oder Kydonia (κυδώνια) schlürft, der ist hier richtig, wer Fisch nur von „Fish & Chips“ oder Fisch-Stäbchen kennt, der sollte solche Lokale eher meiden, sonst ist der Frust programmiert. Ansonsten lernt man schnell auch den Unterschied zwischen Sepien und Kalmare (alle 10-armig) kennen und freut sich an hausgemachten Tintenfisch-Nudeln mit einer 8-armigen Oktopode vom Grill.
Zu 4.) in einer Π–Τ bedient man ungerne Gäste, die nur auf einen Drink vorbei kommen. Für eine Π–Τ nimmt man sich ausreichend Zeit und das bevorzugt am späten Abend, wenn auch manche Π–Τ auch mittags offen haben.
Zu 5.) und ja, eine Π–Τ ist allgemein im aller obersten Preissegment angesiedelt. Wer das ganze Programm durchspult und beim Wein nicht lumpt, der kann schon einmal mit € 100,- bis 150,- pro Person rechnen. Wenn man das Haus kennt, dann ist es aber durchaus auch möglich mit € 80,- bis 100,- für zwei Personen für sehr gutes Essen auszulangen.
Anmerkung: Es gibt natürlich auch Fisch-Lokale z. B. an Stränden, die hervorragende Qualität oft sehr preiswert anbieten. Die sind aber hier als Π–Τ nicht gemeint.
Zu 6.) die allermeisten Π–Τ leben (fast) ausschließlich von griechischen Geschäftsleuten und die kommen spät abends, wenn sie ihre Geschäfte geschlossen haben, oft spät nach 22:00 Uhr — zu einer Zeit, wo die meisten Touristen (wenn noch wach) irgendwo in einer Bar herum hängen.
Zu 7.) das was wir von einem Fischlokal wissen, hat meist sehr wenig damit zu tun, was in einer Π–Τ geboten wird und das muss man üblicherweise wissen. Eine Speisekarte sucht man in aller Regel vergeblich. Typisch bestellt der „Führer“ des Tisches (manchmal auch mehrere) an der Theke mit den frischen Produkten im Lokal und lässt sich direkt vom Koch beraten, was er gerade spezielles zu bieten hat.
Anmerkung: Aus eher minderwertigen Reiseführern hat sich offensichtlich herum gesprochen, dass man am ehesten am Preis für den Griechischen Salat beurteilen kann, in welche Preis-Kategorie das Lokal einzustufen ist. Dazu sucht man sich eine Speisekarte und überfliegt diese möglichst stehen, damit kein Eindruck aufkommt, man könnte bleiben wollen. Abgesehen davon, das der griechische Salat (der eigentlich Bauern-Salat – χωριάτικη σαλάτα heißt) keinen festen Regeln unterworfen ist und immer eine individuelle Note hat (wenn man nicht schon in einer Touristen-Kneipe gelandet ist), sind natürlich auch schon viele Wirte auf den Trick aufmerksam geworden und machen den Salat oft attraktiv billig. Der günstige Preis wird mit reduzierter Qualität ganz bequem wieder ausgeglichen. (siehe dazu auch “Kleine satirische Benimmregel für das Verhalten im Ausland im Allgemeinen und in Griechenland im Besonderen” von Helmut Gabler)
Zu 8.) man wird in einer Π–Τ eher Griechen finden, die nicht jeden Euro umdrehen müssen und solche gibt es immer noch genug. Diese Klientel will sich der Eigentümer nicht unbedingt mit Gästen, die ohnehin nur ein einziges Mal kommen (und eher auf Qualitäts-Niveau von Fish & Chips eingestellt sind) vergraulen. Wird man von dem Stammgästen akzeptiert, dann hat auch der Wirt nichts dagegen, auch wenn man vergleichsweise eine eher bescheidene Rechnung macht. Geld alleine ist es nicht, es geht auch um Flair.
Zu 9.) in der Π–Τ kommt der griechische Begriff Parea (παρέα) besonders stark zum Ausdruck. Man geht im Freundeskreis essen und wesentlich ist die gute Unterhaltung (weniger das auch gute Essen) und ein Grieche bedankt sich für die gute Unterhaltung. Bezahlen ist eine Ehre, die so weit gehen kann, dass der Kellner bestochen wird, dass er nur ja niemanden anderen die Rechnung aushändigt. Im Kreis von Kumpeln ist es aber durchaus auch gängig, dass einer die Rechnung bezahlt und dann anschließend untereinander aufgeteilt wird.
Übrigens: Unsere Methode des Bezahlens (wo jeder einzeln und getrennt seine Rechnung bezahlt) belächeln die Griechen und haben dafür auch einen eigenen Begriff erfunden: „sta Germanika“ (auf Deutsch). Ein mir sehr gut bekannter Wirt einer solchen Taverne hat mir mehrmals erzählt, dass er wieder einmal eine Rechnung auf die einzelnen Teilnehmer auseinander gerechnet hat, mit dem Ergebnis, dass alle Teilnehmer bis auf einige Drachmen +/- den gleichen Betrag bezahlten.
Zu 10.) dass eine Π–Τ nicht gerade auf Touristen angewiesen ist, sollte eigentlich schon aus den vorhergegangenen Erläuterungen klar geworden sein und damit ist eine Π–Τ auch nicht auf Reihungen bei Plattformen wie TripAdvisor angewiesen. Für diese Art von Tavernen gibt es andere griechische Organisationen (ähnlich dem Gault-Millau) und in erster Linie zählt das, was die regelmäßigen Besucher sagen.
Zu 11.) ja, und das stimmt leider auch und habe ich sogar selbst beobachtet, dass Tavernen Besitzer (oder auch Bedienstete) touristisch anmutende Gäste regelrecht verarscht und hinausgeekelt haben. Ein Verhalten, das natürlich kein Lob verdient, denn mit einer freundlichen Erklärung ginge es auch, darauf aufmerksam zu machen, dass man möglicherweise nicht in das Lokal passt.
Einen Beitrag, zur Entstehung der Taverne hat Kostas vor Jahre unter diesem Titel gepostet:
“κομμάτι της ιστορίας της Ρόδου”
Die ursprüngliche Seite www.rodosfoodnews.gr wo dieser Beitrag gepostet wurde steh leider seit Jahren nicht mehr zur Verfügung.
Zum Glück konnte ich rechtzeitig den Inhalt des Beitrages in ein PDF-Dokument retten und der Link führt jetzt auf dieses Dokument im Dateien-Bereich
Στο τέλος (zum Schluss)
In der obigen Beschreibung bin ich (für alle genannten Punkte) ganz bewusst nicht auf eine bestimmte Taverne eingegangen, die Geschichte passt im Grunde auf alle Fischtavernen, wo man in erster Linie die Griechen und weniger die Touristen antrifft.
Wer mich besser kennt, der weiß natürlich ganz genau welche Taverne ich meine und das Einstiegsbild (das ich 1992 gemacht habe) mit Nikos Vassilaris an der Gitarre (auch einem guten Freund, er ist Juwelier in der Altstadt mit seinem geschmackvollen persönlich kreierten Schmuck) verrät das ja auch. Jedenfalls habe ich in dieser Taverne in der Altstadt von Rhodos, meine meisten Erfahrungen zum Thema gemacht (und das seit sehr langer Zeit, seit etwa 1970).
Der alte Alexis (ich kannte ihn noch) eröffnete im Jahr 1947 sein erstes Lokal (es war ein kleines Lebensmittelgeschäft, wo man auch Kleinigkeiten zu Essen bekommen hat) und 10 Jahre später, im Jahr 1957 wurde es zur “Taverna Alexis”. Er war passionierter Fischer und verkochte anfänglich ausschließlich nur das, was er nachts selbst gefangen hatte. Nach seinem Ableben im Jahr 1974 übernahmen seine Söhne Kostas und Yannis das Lokal (Kostas als Geschäftsführer und Yannis als Koch) und Yannis als begnadeter Koch (ein guter und langjähriger Freund) war es in erster Linie, der dieser Fisch-Taverne dazu verhalf, dass sie über Jahrzehnte unter den 3 besten Fisch-Tavernen von Griechenland gelistet war.
Dieses Lokal, wo viele berühmte Persönlichkeiten wie Winston Churchill, Aristoteles Onassis, Maria Callas, Antony Quinn, Gregory Peck, Telly Savalas, sowie große Reeder, Königinnen und Könige gespeist haben, hat auch etwas damit Udo Jürgens zu tun.
Kostas veröffentlichte am 27. April 2015 in der Fachzeitschrift “Rodos Food News” einen Kurzbericht über die Taverna “Alexis”. Die Seite mit dem ursprünglichen Link ist leider derzeit unter “maintenance” aber zum Glück habe ich damals eine Kopie gezogen. Wer der griechischen Sprache einigermaßen mächtig ist, kann hier den Original-Text nachlesen:
ταβέρνα «Αλέξης», κομμάτι της ιστορίας της Ρόδου
Für alle, die nicht gleich den ganzen Text lesen wollen, die Textstelle bezüglich Udo Jürgens ist auch hier zu sehen.
Sinngemäß auf Deutsch übersetzt kann man hier lesen:
“Unter den köstlichen Genüssen, die “Alexis” bot, gab sie für einige auch Inspirationen. In unserer Taverne schrieb Udo Jürgens sein berühmtes Lied „Griechischer Wein “. Er war eines Nachts mit seinem Bruder hier und fing an zu summen. Er schnappte sich eine Serviette und schrieb die Noten zu dieser Zeit … es dauerte dann eine Weile und der Song erschien zwei Jahre später.”
Auf Schlager-Planet.com kann man dazu weitere Details lesen:
“Wir schreiben das Jahr 1972, Udo Jürgens befindet sich im Urlaub auf der griechischen Insel Rhodos. Aus einer Urlaubslaune heraus schreibt er das Lied „Griechischer Wein“. Erst zwei Jahre später lieferte Michael Kunze das, was den Hit so berühmt machte: Der „Griechischer Wein“-Text ist noch heute ein Partyknüller!
Unser sehr guter und wirklich schon langjähriger Freund „Γιάννης Αλεξάνδρου Κατσιμπράκης“, der Koch der legendären “Alexis Taverne” hat sich vor einigen Jahren aus dem Alexis zurück gezogen und hat in der Altstadt mit dem „Angela Castle“ sein eigenes Lokal auf sehr hohen Niveau eröffnet. Auf dem Bild hier braucht man vermutlich nicht ausdrücklich betonen, dass er links im Bild zu sehen ist.
Januar 2016, Hans (aktualisiert: 2021)