„Der Mensch baut seine eigene Biografie und damit sich selbst nach narrativen, sprich: kommunikativen Mustern, und nicht etwa durch eine Abbildung tatsächlicher Ereignisse. Die Welt, die Ihr betrachtet, ist ein Interpretationsprodukt Eures Verstands.“ *)
Diese (obige) Aussage stammt vom Mai 2008 (siehe auch Quellenangabe ganz unten) und bekommt heute (nach gut 8 Jahren!), in einer Zeit wo FACEBOOK für viele Menschen der Maßstab so ziemlich für das gesamte soziale Umfeld ist eine völlig neue Bedeutung.
Ursprünglich war Facebook dazu gedacht, Menschen auf der ganzen Welt miteinander zu verbinden und ihnen die Möglichkeit zu geben, auf einem sehr einfachen Weg Informationen auszutauschen. Das ist gut so, ist auch sehr nützlich und sollte keineswegs angeprangert werden. Leider hat Facebook aber auch sehr stark dazu beigetragen, dass sich die Politik und unser Privatleben immer mehr ineinander vermischen, beginnend damit, dass wir (für viele unbemerkt) mehr und mehr polarisiert werden bis hin zum extremen Frontenkrieg, der oft die gemäßigte Mitte völlig ausspart und nur noch ein extremes Links oder Rechts kennt.
Für manche Menschen scheinen soziale Medien wie: Facebook, Twitter, Instagram usw. zum weitgehend einzigen Lebensinhalt geworden zu sein. Einerseits führte das sogar schon dazu, dass der allgemeine Notruf gewählt wurde, weil Facebook wieder einmal “down” war (Beispiel aus 2014 in den USA). Auf der anderen Seite sind aber auch Fälle bekannt, wo es Nutzern erheblich wichtiger war, ein schreckliches Unfall-Szenario schnell einmal auf Facebook zu posten als den Notruf zu wählen. Sollen sich doch “ANDERE” darum kümmern, ich bin ja nicht betroffen (Beispiel aus 2018 in Deutschland).
Facebook ist die neue Öffentlichkeit. **)
Facebook ist mittlerweile der größte Nachrichtenkanal und Informationsquelle am Informationsmarkt. Studien zufolge (siehe hier) sind es bereits 44 % der US-Amerikaner die sich faktisch alle ihre Nachrichten und News über Facebook holen (dazu kommen weitere 18 % die sich ihre Informationen aus anderen sozialen Medien besorgen).
Auf den ersten Blick ist das weiter nicht besonders schlimm. Das Problem dabei ist nur – man darf solche Informationen nicht in der Form „konsumieren“ wie man es bei Medien gewohnt ist (war), die sich den lokalen Mediengesetzen des jeweiligen Landes unterwerfen und damit Verantwortung übernehmen, zumindest so viel Verantwortung dass wenigstens keine eklatanten Falschmeldungen verbreitet werden (wenn auch die eigentlichen Meldungen durchaus in der Blattlinie mehr oder weniger stark „eingefärbt“ sein können). Grundsätzlich muss ein solches Medium eine Redaktion haben und journalistischen Richtlinien folgen, die dafür sorgen dass Nachrichten “verantwortlich“ gefiltert werden.
Ich höre schon die Kritiker lauthals schreien, die behaupten, jede Form eines Filters wäre Zensur. Wer dieser Meinung ist, der kann sich gerne auf Seiten wie „unzensuriert.at“ herum treiben, wo nachgewiesen immer wieder eklatante Falschmeldungen verbreitet werden. Jedenfalls: gefiltert werden muss immer dann, wenn man nicht grob-fahrlässig handeln möchte.
Gefiltert wird ja auch bei Facebook, allerdings nach eher undurchsichtigen sogenannten „Gemeinschaftsstandards“. Sie sorgen dafür, dass Bilder die in irgendeiner Form den Nippel einer weiblichen Brust zeigen (auch wenn es einmal ein historisches Kunstwerk ist) innerhalb von Minuten gelöscht sind. Eklatante Falschmeldungen bis hin zu extremen Hass-Beiträgen bleiben davon oft sehr lange oder gar auf Dauer verschont.
Wer kennt heute nicht Wikipedia? Eine sehr nützliche Plattform für Informationen zu gut jedem Thema, das sich mit einem Begriff benennen lässt. Die daraus gewinnbare Information ist meist sehr hilfreich, nur — sie kann auch eklatant falsch sein. Man bemerkt das allerdings nur dann, wenn man in Themenkreise eindringt, die man selbst sehr gut beurteilen kann (bei mir z. B. die Gebiete beginnend mit der allgemeinen Elektrik über lokale und speziell internationale Standards zur Elektrik, bis hin zur Elektronik für industrielle Steuerungen und Softwaretechnik). Der wesentliche Unterschied nun zwischen Facebook und Wikipedia ist: Wikipedia ist sehr streng moderiert, es kann zwar praktisch jeder dort hinein schreiben was er für richtig und nützlich hält, was aber tatsächlich für die Öffentlichkeit freigegeben wird, das wird von vielen ehrenamtlichen Fachkräften geprüft und bei Bedarf redigiert. Facebook dagegen hat keinerlei Mechanismen, die auf inhaltlich falsche Information reagieren könnten, außer vielleicht andere Nutzer die einen bloß stellen können (und die man auch ganz schnell mundtot machen kann wenn man sie sperrt) oder man legt sich mit den „fadenscheinigen“ Gemeinschaftsstandards an.
Für uns entsteht dadurch ein verzerrter Blick auf die Realität. Relevant ist, was oft geklickt wurde oder viele „Likes“ oder Kommentare erhält und nicht was eventuell nützlich sein könnte. Dieses gezielt durch Algorithmen gestützte System macht die rasante Verbreitung von „Clickbaiting“-Artikeln, maßlosen Übertreibungen und Falschmeldungen erst möglich. Unsere Facebook Time-Line zeigt uns nicht die qualitativ hochwertigen, gut recherchierte und wahren Posts, sondern bevorzugt das, was starke Emotionen in uns auslöst und deswegen zum Klicken und Teilen anregt. Ja, je mehr wir etwas anklicken, teilen und liken, desto mehr versorgt uns Facebook mit ähnlichen Beiträgen. Das gemeine daran, Facebook merkt sich recht gut was es meint, dass uns gefällt und braucht eher lange, bis es auf Änderungen in unserem Verhalten reagiert.
Hier beginnt der eigentliche „Teufelskreis“, wie wir ihn in der Überschrift zu diesem Beitrag stehen haben. Wenn wir in unserem Weltbild und in unserer Meinung bestätigt werden, fühlen wir uns gut. Sehen wir Sachen, die uns traurig oder wütend machen, dann gefällt uns das nicht. Wenn etwas total und grundlegend falsch und unrichtig ist, dann wird es nicht richtig dadurch weil wir es 10, 20 oder 100-mal an unterschiedlichen Stellen lesen. Es ist und bleibt falsch, für Personen die nichts hinterfragen und alles so als gegeben nehmen, wenn man es ihnen nur oft genug sagt oder vorsetzt kann das aber teuflisch werden. Die Lüge wird (für solche Personen) zur Wahrheit, zur gegebenen Situation.
Paul Joseph Goebbels (* 29. Oktober 1897 in Rheydt; † 1. Mai 1945 in Berlin) einer der einflussreichsten Politiker während der Zeit des Nationalsozialismus sagte:
“Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates.”
Ein geradezu erschreckendes gedankliches Szenario tut sich auf, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen verherenden Lauf der Nationalsozialismus nahm und das grauenhafte Ende in das er führte. Geradezu erschreckend aber auch, wenn man immer wieder beobachten muss, dass speziell auf rechten Facebook Seiten und sogar von offiziellen Politikern des Landes die Falschmeldung und die Lüge offensichtlich ganz bewusst als Mittel zum Zweck eingesetzt werden.
Immer mehr führte diese Systematik dazu, dass es mittlerweile zwei virtuelle Realitäten auf Facebook gibt, die sich bis hinein in unsere reale Umgebung und unser tägliches Umfeld ziehen. Zwei riesige Blasen der scheinbaren Wirklichkeit. Einen linksliberal (eher demokratisch) orientierten Zweig (aber in Einzelfällen bis hin zu linksradikal) und einen mehr und mehr rechtsautoritären Nachrichtenkanal, wenn man so will.
Meinungen und Informationen werden in den allerwenigsten Fällen reflektiert, hinterfragt oder gar systematisch geprüft und verbessert (wie das z. B. bei der sachlich orientierten Wikipedia noch der Fall ist), NEIN – diese werden nur noch vervielfältigt und immer wieder bestätigt, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt (oder Nonsens-Charakter).
Die bescheiden Frage: „kann das überhaupt auch nur im Ansatz stimmen, was mir da gesagt wird“ – diese Frage wird nicht mehr gestellt, diese Frage gibt es nicht mehr.
Ob irgendetwas „Realität“ ist oder eine virtuelle Luftblase, das spielt absolut keine Rolle — es muss nur in das Gefüge von unserem Weltbild passen — dann ist alles in Ordnung.
Falschnachrichten (Fakes) beliebiger Art finden reißend ihre Abnehmer, wenn sie einigermaßen in die Richtung schlagen der wir nachhängen, also das bestätigen was zu unserem Weltbild passt. Ob sie mit der Realität übereinstimmen wird zur reinen Nebensache und eine Überlegung in diese Richtung wird in vielen Fällen nicht einmal im Ansatz angedacht.
Der riesige Spaltkeil steht im Raum und er ist es, der unsere Gesellschaft in unterschiedliche Lage spaltet. Ein Vorgang, der von einer eher kleinen Gruppe gesteuert wird und leider von der betroffenen großen Mehrheit kaum bis gar nicht bemerkt wird.
Voraussetzung für solche Vorgänge ist offensichtlich (neben einer überschaubaren Anzahl von Initiatoren) eine riesige Zahl unmündiger, manipulierbarer Bürger, die sich dann auch noch brüsten für etwas einzutreten, das es in dieser Form gar nicht gibt.
Es fällt uns ganz leicht auf Falschmeldungen herein zu fallen. Für die eher rechte Seite sind es die Flüchtlinge die sich angeblich undankbar verhalten, die eher in der Mitte (wenn es das noch gibt) oder links orientierte Seite atmet auf, wenn sie zu hören oder lesen bekommt, dass Donald Trump die republikanischen Wähler 1998 als besonders dumm und beeinflussbar bezeichnet hätte. Ja … beides ist eine Falschmeldung.
Um kurz bei Trump zu bleiben: **) „News“-Seiten wie „Breitbart“ haben viel Stimmung für Trump gemacht und das völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Laut „Politifact“ waren in Trumps Wahlkampf lediglich 15 % seiner Aussagen wahr oder 15 % halb wahr (zusammen 30%). Mehr als ein Drittel aller seiner Aussagen hatten absolut nichts mit der Wahrheit zu tun. Doch das war völlig irrelevant, denn sie bestätigten die Meinung seiner Anhänger. Und das ist wohl alles, worauf es heutzutage ankommt. Zum Thema bewusst in die Welt gesetzte Fakes (=Lügen), siehe auch: „Fake-News: Warum Facebook verdammt nochmal seiner Verantwortung gerecht werden muss“.
Problematisch sind weniger die glatten Lügen (jetzt nicht nur die von Trump), sondern die Halbwahrheiten, die verzerrten Darstellungen und die überzogenen Interpretationen, die sich irgendwo in einer Grauzone zwischen wahr und falsch befinden.
Narrativen nennt man das mittlerweile, was wir an neueren Beispielen wie die des Brexits (wo z. B. Google unmittelbar nach der Abstimmung und den folgenden Tagen eine enorm um 2.450 Prozent gestiegene Anzahl von Suchanfragen nach dem Begriff „BREXIT“ und den daraus zu erwartenden Folgen verzeichnete – siehe dazu auch meinen Beitrag: „Es ist geradezu erschreckend“), LePen der AfD und leider auch bei der FPÖ feststellen. Natürlich sind dies erstmal demokratisch legitime Standpunkte. Aber … wenn die politische Meinungsfindung auf zu vielen Unwahrheiten beruht, fordert man Lösungen für Probleme, die nicht existieren und schafft damit Probleme, deren Lösungen man ablehnt. Das schadet uns allen. (Anmerkung: der zuletzt kursiv gestellte Bereich ist mit einigen kleinen Änderungen und eigenen Ergänzungen Großteils der Quelle **) entnommen).
Ja — und jetzt — an dieser Stelle möchte ich abschließen nochmals der Quelle *) das Wort übergeben, die für den einleitenden Absatz in meinem Beitrag herhalten durfte.
Seid keine Netz-Neandertaler!
Die Zukunft kann der Vergangenheit niemals Pädagoge sein; das klappt schon andersherum ziemlich schlecht. Trotzdem schreiben wir diese Zeilen, um einen vorsichtigen Hinweis zu geben: Liebe 2008ler, Ihr rennt durchs Internet, als gäbe es kein Morgen. Gewissermaßen im Lendenschurz, die Keule in der Hand, instinktgesteuert, der menschlichen Sprache kaum mächtig. Im Netz benehmt Ihr Euch, wie Ihr es draußen niemals wagen würdet. Ihr erzählt jedem alles über Euch und noch einen Haufen Lügen obendrein. Ihr veröffentlicht Eure intimsten Absurditäten für den kleinen Traum von der Unsterblichkeit. Aber es gibt keine Alles-nur-geträumt-Taste, und Unsterblichkeit macht nur in einem hübschen Kleidchen Spaß. Beendet Euren hysterischen Irrtum über die Virtualität. Zivilisiert Euch, bevor es andere tun. Uns hat es viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet, bis die Vorfahrtsregeln zwischen Bürger und Staat auf der Datenautobahn ähnlich demokratisch wurden wie draußen auf der Straße. Das hätte schmerzloser funktioniert, wenn es im Netz Bürger gegeben hätte und nicht nur informationelle Neandertaler, die glaubten, dass ein nackter Mann nichts zu verlieren und damit auch nichts zu verbergen habe.
Zieht Euch was an, sprecht in ganzen Sätzen, tragt die Köpfe hoch. Wir freuen uns auf Euch, auch wenn wir wissen, was selbst die Größten und Berühmtesten unter Euch für erstaunliche Scheißkerle waren.
Hans, November 2016
Quellennachweise:
*) Auszug aus dem Beitrag „Seid keine Netz-Neandertaler!“ von Juli Zeh, 15. Mai 2008; Quelle: DIE ZEIT, 15.05.2008 Nr. 21
**) Auszug aus dem Beitrag „Facebook: Du musst dich anpassen“ vom „Volksverpetzer; Quelle: Mimikama, 15.11.2016